Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war Murnau ein kleiner Ort im Oberland wie viele andere. Politik, aber auch wirtschaftlicher
und gesellschaftlicher Fortschritt spielten sich anderswo ab, die Gemeinde am Rand der Alpen führte ein beschauliches Dasein fernab der Konflikte und Widrigkeiten der modernen Welt.
Und doch komprimiert sich hier deutsche Geschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wie in einem Brennglas:
Hier lebten der nationalsozialistische Wirtschaftstheoretiker und frühe Förderer Hitlers Gottfried Feder, der spätere Präsident
des Jüdischen Weltkongresses Nahum Goldmann, der amerikanisch-jüdische Mäzen James Loeb, die Malerin Gabriele Münter, der Schriftsteller Ödön von Horváth und der Widerstandskämpfer Christoph Probst. Adolf Hitler, aber auch Heinrich Himmler und Julius Streicher machten in der Gemeinde am Staffelsee Station.
Der verlorene Erste Weltkrieg war für viele Deutsche ein vernichtender Schlag, war man doch von der militärischen Führung,
die stets einen baldigen Sieg verhieß, über Jahre hinweg irregeführt worden. Der Fall der Monarchie und die Ausrufung der Republik blieben mit der Demütigung der Niederlage verknüpft, die nicht den Militärs, sondern den Politikern angelastet wurde. Für Murnau brachen bewegte Zeiten an: Revolution und Münchner Räterepublik hatten Auswirkungen bis ins Umland hinein.
Mit einer Einwohnerwehr wollten sich die Murnauer gegen revolutionäre Bestrebungen schützen. Kaum war diese Miliz entwaffnet, erschien in Form des Bundes Oberland schon die nächste. Angehörige des Bundes Oberland beteiligten sich am Hitlerputsch in München und sogar in Murnau selbst kam es zum Putschversuch.
1923 wurde eine NSDAP-Ortsgruppe gegründet, nach dem Verbot der NSDAP erneut 1926. Ab 1924 errangen bei Wahlen stets völkische und nationalistische Parteien die Mehrheit der Murnauer Wählerstimmen. Seit den späten 1920er-Jahren betrachteten die völkischen Gruppierungen und NSDAP-Angehörigen Murnau als ihre Hochburg, die sie gegen politische Gegner verteidigten – notfalls mit Gewalt wie in der Murnauer Saalschlacht 1931.
Die Stilisierung als nationalsozialistischer Mittelpunkt des Oberlands blieb aber im wesentlichen Propaganda: Nach der „Machtergreifung“ dienten Murnau und Umgebung als Kulisse für nationalsozialistische Inszenierungen wie das HJ-Hochlandlager 1934, die 600-Jahr-Feier 1935 oder die Olympischen Winterspiele 1936. Der Bau zweier Kasernen 1938 war schon der Vorbote für den nächsten Krieg, in dem wie im Ersten Weltkrieg viele junge Murnauer Männer fielen. Ausgebombte, Evakuierte und Flüchtlinge benötigten im Krieg alle Zimmer in Hotels und Gaststätten, die früher Touristen beherbergt hatten.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war Murnau ein Vielvölkerort, wo amerikanische Besatzer, befreite Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge, Flüchtlinge und Einheimische in teils drangvoller Enge lebten.
Zeitzeugeninterviews und dokumentarische Aufnahmen der Amerikaner beim Einmarsch gehen auf die NS-Diktatur und das Kriegsende 1945 ein. Unter Einbeziehung einer Vielzahl von historischem Fotomaterial, Plakaten und Objekten aus dem Archiv der Marktgemeinde, Staats- und Hauptstaatsarchiv sowie Stadtarchiv München und Privatarchiven wird das politische, gesellschaftliche und kulturelle Panorama kleinstädtischen Lebens von 1919 bis 1950 deutlich, das über den lokalen Kontext hinaus nationale und internationale Bedeutung hat.
Eine Leseecke lädt zur Beschäftigung mit den Texten zeitgenössischer Autorinnen und Autoren ein.
Die Ausstellung wird von einer umfangreichen Publikation, einem Audioguide und einem Rahmenprogramm begleitet.
Kuratiert von Privatdozentin Dr. Edith Raim.
Begleitet durch das Marktarchiv und das Schloßmuseum Murnau.
"Nirgends in ganz Oberbayern hat man solch einen instruktiven Überblick über eine typisch oberbayerische Landschaft."
(Ödön von Horváth, Die Fürst Alm, 1928/29)